Auto und Wohnwagen, das war früher die klassische Paarung. Nun können Camper auch aufs Wasser. Fahren darf ich bis Windstärke vier. Wann aber ist fünf? „Fünf“, sagt Norbert, „ist dann, wenn mir der Zopf vom Kopf absteht.“ Norbert ist eine Autorität. Zumindest für mich, zumindest im Augenblick. Nicht weil er im Gegensatz zu mir die langen Haare zu einem dünnen Zopf zusammenflechten kann. Und auch nicht, weil er in seinem Harley-Shirt, den schwarzen Cargo-Hosen und mit dem Ziegenbärtchen ein wenig so aussieht wie der Ehrenvorsitzende der Hells Angels von Zehdenick. Nein, so macht mir Norbert keine Angst. Dafür wirkt er einfach zu gutmütig. Aber Norbert zeigt mir nicht nur, wie das geht, einen vier Meter breiten und zwölf Meter langen Kahn, der eher an eine Autofähre als an eine Yacht erinnert, geräuschlos an einer Spundwand zum Liegen zu bringen.
In der Praxis geht es nicht ganz so flott. Zentimeterweise rollt der Wohnwagen an der Seilwinde auf den schwimmenden Untergrund. Und wenn wir an diesem Tag sogar im Heimathafen am Mildenberger Ziegelei-Museum übernachten müssen, liegt das nicht nur an meinen nautischen Fähigkeiten. Unser Schwesterschiff mit einem erfahreneren Skipper an Bord kam erst einmal auch nur bis Burgwall, drei Kilometer havelaufwärts.
Aber das ist vergessen, am nächsten Morgen, als wir endlich auslaufen. „Freedolin“, so heißt unser Boot, das einem eher wie ein Schiff vorkommt, wenn man aus zweieinhalb Meter Höhe vom Sonnendeck auf die Havel runterschaut, „Freedolin“ also läuft gut, mit ungefähr acht Kilometern in der Stunde, viel mehr sind hier sowieso nicht erlaubt. Vom ursprünglichen Plan, unterwegs frei zu ankern, nehmen wir erst einmal Abstand. Vor allem, nachdem uns unser Vorgänger erzählt hat, wie er bei solch einem Manöver seinen Anker verlor und tauchend aus dem 15 Grad kalten Kuhwallsee holen musste. Stattdessen halten wir Kurs auf Templin.
Es sind nur wenige Boote unterwegs, obwohl die Sonne scheint, aber es ist noch früh im Jahr. Im Uferschlick steht ein Angler und sammelt Würmer, ein Reiher erhebt sich träge aus dem Schilf, ansonsten sind wir fast allein. „Mit dem Hausboot willst du fahren“, hatte mich ein Kollege vorher gefragt und mir dann erzählt, wie er als 15-Jähriger mal durch England geschippert sei. „Gott, war das langweilig.“ Jetzt steht unsere 14-jährige Tochter am Bug und langweilt sich zum Glück nicht. Ich bin froh, dass wir sie dabei haben. Denn wir nähern uns der ersten Schleuse. Zwei Personen, das ist die Minimalbesatzung für einen Freecamper. Deshalb an dieser Stelle ein Tipp: Besser, man ist mindestens zu dritt, einer steht mit dem Tau vorn, einer hinten und einer am Steuer.
Die Schleuse Kannenberg auf dem Weg in die Templiner Gewässer ist eine der wenigen hier, die noch manuell bedient werden, die übrigen funktionieren automatisch. Und das Prinzip dort ist simpel: vorfahren bis zur Haltelinie, ein Rohr betätigen, auf einer elektrischen Tafel wird angezeigt, wie es weitergeht.
Es folgt Tipp Nummer zwei: Gut, wenn man ein Fernglas dabei hat. Es ist nicht immer leicht in größeren Seen den richtigen Ausgang auszumachen, wenn Bäume das entsprechende Seezeichen verdecken. Wir haben ein Fernglas, und durch dieses sehe ich, dass im Stadthafen Templin jemand im Blaumann auf dem Steg steht und uns zuwinkt. Auch das hilft ungemein. Denn als Anfänger mag man es nicht besonders, wenn man nach erfolgreichem Anlegemanöver vom Hafenmeister erzählt bekommt, „Hier könn’ Se aber nicht liegen bleiben“ und anschließend durch das Becken kreuzen muss.
Der Blaumann entpuppt sich als Harald Fröhnel, der Hafenmeister. Hier nun Tipp Nummer drei: Es schadet nichts, wenn man vorher mal den einen oder anderen Seemannsknoten übt, damit man nicht erschrickt, wenn Fröhnel einem zuruft, „achtern belegen, aber bitte keinen Hausfrauenknoten“, während er uns vorn festmacht. Immerhin, das Anlegemanöver meiner Frau kommentiert er wohlwollend: „Besser als mancher Kerl.“ Ja, das hat Norbert auch gesagt.
Wohnwagenfahrer finden sich im Hafen schnell zurecht, es ist nicht viel anders als auf einem Campingplatz. Wobei der Stadthafen Templin eindeutig zu den gut geführten Anlagen gehört. Wir wären gern länger geblieben, ist ein schönes Gefühl, im Hafen auf dem Sonnendeck zu sitzen und bestaunt zu werden. Immer wieder bleiben Passanten stehen, wollen wissen, was das für ein Gefährt sei und wo wir denn herkämen. Nein, wir sind nicht aus Holland, wie zwei Kanuten vermuten, deren Weg wir mit unserem schwimmenden Wohnwagen kreuzen.
Zurück durch den engen Templiner Kanal. Nicht einmal die „Uckerperle“, ein Fahrgastschiff, das uns entgegenkommt, kann uns mehr erschüttern. Dahinter liegt der große Röddelinsee, dessen Oberfläche sich unter einer steifen Brise merklich kräuselt. Ist das schon Windstärke fünf? Die Überfahrt zieht sich hin, wir stampfen durch die Wellen. Doch weil unser Schiff kein bisschen schwankt, kann man drinnen in Ruhe Kaffee kochen. Und als wir am vierten Tag tiefbraun, erstaunlich wie schnell das auf dem Wasser geht, wieder in Mildenberg anlegen, sehen wir ein bisschen aus wie Seebären. Schade, dass Norbert uns nicht anlegen sieht.
Andreas Austilat, Tagesspiegel Berlin
> Link zur Tagesspiegel-Reportage vom 08.05.2011
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