Meine Frau, unser Wohnwagen und ich

Andreas Austilat, stellv. Ressortleiter Sonntag des Berliner Tagesspiegels verarbeitet seine 4-tägige Reise mit dem freecamper® im Buch „Hotel kann jeder“. Daraus Kapitel 11 „In See stechen“:

Manchmal werde ich im Büro gefragt, wie das denn sei, mit dem Camping. Von Lisa zum Beispiel, das ist eine von diesen Stilbewussten. Die fährt nie in den Urlaub, jedenfalls nicht wie wir, mit Kind und Kegel, Lisa fliegt zum Shoppen nach New York, zu irgendeiner Vernissage oder übers Weekend nach Istanbul. Wenn mich also Lisa fragt, dann sage ich gern: »Im Prinzip wie eine Jacht an Land.« Die gleichen Leute, die den Wohnwagenfahrer gern in die Nähe des Kleingärtners rücken, sehen doch einen Bootseigner in dem Moment, in dem sein Schiffchen über eine Kabine verfügt, mit ganz anderen Augen. Geht mir ja selbst auch so. Mehr als einmal habe ich schon in Jachthäfen gestanden und mich dabei ertappen müssen, auf die dort vertäuten Boote zu gucken.
Ach, wäre das toll, wenn man mit dem Wohnwagen auch einfach in See stechen, jederzeit irgendwo in einer einsamen Bucht den Anker fallen lassen könnte, allein mit sich und den seinen.
Erschwerend kommt hinzu, dass ich von jeher eine maritime Ader habe. Mein Lieblingsbuch in jungen Jahren war »Robinson Crusoe«. Gut, da geht es jetzt um Schiffbruch, das ist noch einmal ein bisschen was anderes. Aber ich mag auch »Master and Commander« mit Russell Crowe, und natürlich habe ich alle vier Folgen von »Fluch der Karibik« mitJohnny Depp als Captain Jack Sparrow gesehen. Der Haken ist nur, dass ich in der Praxis von der Seefahrt keine Ahnung habe. Das größte Boot, das ich je selbst steuerte, war ein Zweierkajak, mit dem ich mal im Rheinsberger Rhin auf Grund gegangen bin. Für alle, die jetzt mit märkischer Geografie nicht so vertraut sind, der Rhin ist ein schmales, nicht besonders wildes Flüsschen nordwestlich von Berlin.
Ich und Tom, mein jahrelanger Paddelgefährte, hatten uns nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen können. Weshalb wir auch nicht wie jeder andere Kanute an dieser Stelle links oder rechts an dem Felsen vorbeigefahren waren, der da genau vor uns in dem kleinen Flüsschen aufragte, sondern mittenrauf.
Der »Kamerad«, so hieß unser Kanu, wurde daraufhin von diesem fiesen Riff in der Mitte des Bugs aufgerissen, und zwar genau in Höhe der Wasserlinie. Durch das faustgroße Loch strömte binnen Sekunden genug Wasser, um das Boot mitsamt unserer Campingausrüstung, also mit Zelt, Schlafsack, Erbsensuppe in der Dose und zwei Sechserpack Bier, zu versenken. Zum Glück war der Fluss kaum mehr als einen Meter tief, die Bergung also eine leichte Übung, trotzdem waren Zelt und Schlafsack danach nass. Das Ganze war eine derart deprimierende Erfahrung, dass ich für die nächsten Jahre sehr zurückhaltend war, wenn es darum ging, meine nautischen Neigungen eigenhändig in die Praxis umzusetzen. Das letzte Mal, an dem ich von dieser Regel abgewichen war, in Frankreich an der Ain nämlich, war ja auch nicht allzu gut gelaufen.
Doch als ich dieses eigenartige Gefährt im Hafen von Waren an der Müritz liegen sah, warf ich alle guten Vorsätze über Bord – um mal im Bild zu bleiben. Das Ding war mehr eine Autofähre als eine Jacht. Es handelte sichum eine Art Plattform, die auf zwei Pontons befestigt war.
Darauf war ein Wohnwagen festgezurrt. Über dem Heck türmte sich in beträchtlicher Höhe ein Steuerstand, einem Achterkastell der alten Segler nicht unähnlich, mit denen schon Kolumbus die neue Welt entdeckt hatte. Donnerwetter.
Ich zog Erkundigungen ein, erfuhr, dass man Vergleichbares auch in einem kleinen Havelhafen nicht weit von Berlin mieten könne. Ich guckte mir das Ganze auf der Karte an, sah, welch riesiges Wasserrevier von dort zu erreichen wäre. Flüsse, Seen, ja, theoretisch könnte man bis zur Elbe vorstoßen. Mein Entschluss stand fest, ich würde unserem Wohnwagen das Schwimmen beibringen und Skipper werden an Bord unserer eigenen Jacht. Das wäre doch einmal etwas vollkommen Neues. Und es würde bestimmt auch unserer Tochter gefallen, die uns begleiten sollte. Der Junge war inzwischen für Campingurlaube zu alt, wie er uns erklärte.
»Du meinst, dass du das kannst?«, fragte meine Frau ein wenig skeptisch.
»Schatz«, antwortete ich so selbstbewusst wie nur irgend möglich, »natürlich kann ich das. Du weißt doch noch, wie oft ich früher mit Tom paddeln war.«
Das war der Moment, in dem sie mich an unseren Hausbooturlaub in Irland erinnerte. Tatsächlich waren wir einmal zu viert mit dem Hausboot auf dem Shannon gefahren, bevor wir Kinder hatten, wir beide, mein Paddelfreund Tom und seine Frau. »Damals hast du dich geweigert, das Boot zu fahren!«
»Geweigert, würde ich das jetzt nicht nennen. Es war nur so, dass Tom einen Bootsführerschein hatte und ich nicht. Da habe ich ihm eben den Vortritt gelassen.« In Wahrheit hatte mir der eckige Kasten damals Angst gemacht undmich an mein Gelübde erinnert, zurückhaltend zu sein, wenn es um das Steuern eines Bootes ging. Ich war heilfroh, als Tom sich breitschlagen ließ, das Ruder zu übernehmen.
Man muss zugeben, er hat das dann auch ziemlich gut gemacht, was nicht zuletzt daran lag, dass er von Hause aus das Gemüt einer griechischen Landschildkröte hat. Selbst in kritischen Situationen, zum Beispiel an jenem Tag, an dem wir unser Paddelboot versenkten und in einer wirklich unangenehmen Lage waren, habe ich ihn nie aufgeregt erlebt. Gemeinsame Freunde, die Tom kennen, äußerten deshalb schon den Verdacht, er sei als Kind in einen Eimer Valium gefallen. »Außerdem, wenn du dich recht erinnerst, dann müsstest du wissen, was für ein eingespieltes Team Tom und ich waren. Schließlich, was ist der Steuermann ohne seinen Navigator.« Die Pleite vom Rhin ließ ich an dieser Stelle mal unerwähnt. Da waren wir ja auch noch sehr jung, inzwischen strahlte ich deutlich mehr Gelassenheit aus. Also verglichen mit damals. Ich war schon sehr aufgeregt, als das auf dem Rhin passierte. Muss man sich mal vorstellen, unser ganzes Zeug, die Schlafsäcke, einfach alles vollkommen durchnässt.
Ich rief also in Mildenberg an, um die Details zu klären. Diese Wohnwagen sind ja nicht wirklich autark. Ohne Strom von außen fließt nicht einmal Wasser aus dem Hahn. Und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass man sein Abwasser einfach in den Fluss leiten dürfte. Obwohl ich schon von Bootseignern gehört hatte, die genau das taten. Der Vermieter erklärte mir, dass der Wohnwagen im Hafen in der Regel an dafür vorgesehenen Steckdosen angeschlossen werden könne, ganz so, wie wir das von Campingplätzen kennen würden. An Bord würde der Caravan mit einer außerordentlich starken Batterie verbunden. Das Frischwasser bringt man wie sonst mit, das Abwasser fängt man ebenfalls wie an Land auf und entsorgt es im nächsten Hafen.
Ich nahm mir vor, mehr Kanister als sonst mitzunehmen. Manch ein seefahrender Entdecker ist schließlich schon am Wassermangel gescheitert. Dann kam die alles entscheidende Frage: »Haben Sie einen Bootsführerschein?« Den hatte ich natürlich nicht, was aber nichts machte, wie mir der Vermieter versicherte, ich müsse eben bei ihm einen Charterschein machen. Dauert drei Stunden, und der würde für meine Zwecke vollkommen genügen. Außerdem würden seine Boote über ein Seitenstrahlruder verfügen, das mache die Sache einfach, »das kann wirklich jedes Kind.« Ich erinnerte mich an die Worte des Campingplatzwirtes in Frankreich, dessen Worte hatten ähnlich geklungen, als er mir ein Boot vermietete. Aber da hatten wir uns ins Wildwasser begeben.
Am besten, ich käme möglichst früh am Morgen, dann könne ich vielleicht noch am Mittag auslaufen. Ich war begeistert. Nur meine Frau hegte weiterhin Zweifel.
»Und du meinst, du kannst das?«, fragte sie mich erneut.
»Na klar, wer einen Wohnwagen fahren kann, kann auch ein Boot mit Seitenstrahlruder steuern, das ist doch wie eine Jacht an Land.«
Die nächsten vier Wochen verbrachte ich damit, seemännische Knoten zu üben, mir die wichtigsten Verkehrszeichen zu Wasser einzuprägen und nautisches Kartenmaterial unseres künftigen Wasserreviers zu studieren. Schließlich erläuterte ich meiner Frau den von mir entworfenen Kurs, immerhin würde sie navigieren müssen, wenn ich am Steuer stünde. Ich wähnte mich optimal vorbereitet.
Als wir in Mildenberg eintrafen, war unser Boot noch gar nicht da. »Macht nichts«, sagte der Vermieter, ein langer, schlaksiger Kerl mit ungezähmten Locken und Dreitagebart, was ihm durchaus etwas Seemännisches verlieh. »Wir beginnen eben einfach schon mit der Ausbildung.«
Ausbildung? Ich stutzte. »Keine Sorge, das schafft jeder!«
Er hatte ein mehrseitiges Heft mitgebracht. Meine Frau und ich – »kann ja nicht schaden, wenn Ihre Frau auch Bescheid weiß« – vertieften uns in die Theorie. Wir lernten, welche Zeichen welches Flussufer markierten, nicht unwichtig, weil man seine Flusskarte sonst leicht falsch herum halten könnte, wie der Ausgang aus einem See beschildert ist und wie der Eingang. Durchaus nützlicher Kram also. Dann kam endlich das für uns vorgesehene Boot. »Tut mir leid«, sagte unser Vormieter, kaum dass er an Land war, »die kleine Verspätung war nicht vorgesehen.«
Es stellte sich heraus, dass er gestern Abend in einer schönen kleinen Bucht im Kuhwallsee bleiben wollte, aber als er den Anker über Bord warf, löste sich das Seil, an dem er befestigt war, »und klatsch, war der Anker weg!« Mein Vormieter, ein auffallend gebräunter Mensch, dessen Züge jenen Grad Verwitterung aufwiesen, der gemeinhin als interessant gilt, sagte das mit Triumph in der Stimme, als hätte er da etwas besonders Großartiges vollbracht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das genauso gut hätte verkaufen können, wenn ich meinen Anker über Bord geworfen hätte, ohne ihn vorher festzumachen. Der Vermieter jedoch ließ sich durch den schneidigen Vortrag nicht blenden und blieb skeptisch.
»Und dann?«, fragte er, wobei er wohl im Geist schon mal die Kosten für den Anker von der Kaution abzog.
»Dann habe ich das Boot an einem starken Ast festgemacht, der vom Ufer her weit genug auf den See reichte, und heute früh bin ich tauchen gegangen.«
Respekt, wir hatten für Ende April wirklich schönes Wetter, aber als ich heute Morgen nur mal die Hand in die Havelgehalten hatte, war mir klar, dass ich nur im allernötigsten Notfall freiwillig in dieses Wasser springen würde.
»Der steckte so tief im Schlick!« Mein braun gebrannter Vormieter beschrieb mit beiden Händen schätzungsweise einen halben Meter. Ich staunte »echt?«, aber darauf ging er gar nicht ein, stattdessen bückte er sich hinter die Reling und tauchte stolz mit dem Anker wieder auf, den er aus unergründlichen Tiefen zurück ans Licht geholt hatte, als wäre es eine märkische Perle. Dann machten wir uns erst helfend daran, seinen Wohnwagen von Bord zu schieben. Um anschließend unser mobiles Heim an Bord zu hieven. Was unglaublich lange dauerte, weil unser Vermieter eine Seilwinde zum Einsatz brachte, die den Wohnwagen Zentimeter für Zentimeter an Bord zog.
»Käpt’n«, erlaubte ich mir einzuwerfen, »geht das mit der Hand nicht schneller?«
»Ich denke, Sie wollen hier Urlaub machen«, antwortete der Mann an der Winde, »da nehmen Sie das hier doch schon mal als erste Entspannungsübung.«
Ich versuchte also, mich zu entspannen. Es ging nicht. Nicht, solange ich der Winde bei ihrer Zentimeterarbeit zusah.
Endlich aber war unser Wagen verzurrt, hatte ich auch die gut fünfzig Liter zusätzliches Wasser in Kanistern an Bord gebracht und unter einer Luke verstaut. Nun lernte ich Ronnie kennen. Ronnie kam aus der Gegend, und er hätte jederzeit den Ortsvorsitzenden der lokalen Rockergang abgeben können. Ronnie trug eine Cargohose zum schwarzen Harley-Shirt, das sich um seine tätowierten Arme spannte. Man konnte das gut sehen, weil die Lederweste, die er darüber trug, keine Ärmel hatte. Das lange Haupthaar hatteer zu einem Zopf zusammengebunden, der ihm hinten auf die Weste fiel. Natürlich kam Ronnie nicht mit dem Boot, sondern mit dem Motorrad. Aber es war nicht so sehr sein Auftritt, der Ronnie eine natürliche Autorität verschaffte. Es war die Tatsache, dass er gewissermaßen mein Ausbilder war. Ronnie wollte mir erklären, wie das hier alles funktionierte, und würde später darüber entscheiden, ob ich hier und heute in See stechen dürfte. Ich muss zugeben, obwohl Ronnie mir diese Nachricht mit einem Lächeln überbrachte, wurde ich nervös.
Genau in diesem Moment fuhr ein Auto vor, das ich gut kannte. Mein Schwiegervater stieg aus, rief: »Hallo, gerade rechtzeitig, wollte doch mal sehen, wie ihr zurechtkommt!«
Und kaum waren seine Worte verhallt, zückte er eine kleine Kamera und begann zu filmen. Erst vom Ufer aus, dann aber, die Kamera weiterhin im Anschlag, kam er an Bord.
Ronnie war gerade dabei, uns zu erklären, dass er nur einen Charter-, keinen Führerschein ausstellen würde, der von ihm ernannte Skipper wäre aber während des gesamten Törns Chef dieses Bootes, Herr über die gesamte Mannschaft. Die müsse natürlich ohne Murren seinen Anweisungen folgen, jedenfalls solange man sich auf dem Wasser befinde.
Aye, aye, dachte ich, so streng geht es nun einmal zu in der Seefahrt, und guckte auf meine Mannschaft, die aus meiner Frau, meiner Tochter Sophie und unserem Hund bestehen würde, den wir seit zwei Jahren hatten und der noch nie zur See gefahren war. »Ihr habt’s gehört«, sagte ich, »unbedingter Gehorsam ist auf See unabdingbar. Das gilt vor allem für den Hund.« Dessen Anschaffung, ich glaube, ich habe das bereits angedeutet, war nicht meine Idee. Seine Anwesenheit an Bord erst recht nicht. Er würde alles verkomplizieren. Denn was sollwerden, wenn wir in einer lauschigen Bucht vor Anker liegen, und der muss mal? Ein Beiboot gab es nicht, und Gassi gehen fällt ja an Deck schon mal aus. Keine Frage, das würde schwierig. Überhaupt dieser Hund, eine Promenadenmischung in Weiß und rötlichem Beige, die mir genau drei Tage lang gehorcht hatte, nachdem meine Frau und meine Tochter ihn aus dem Tierheim mitgebracht hatten. Zufällig waren das genau jene drei Tage Probezeit, innerhalb derer man ihn hätte zurückgeben dürfen. Unmittelbar nach Anlauf dieser Frist hatte Duffy – so hatte Sophie unser neues fusseliges Familienmitglied getauft – damit begonnen, mir in meinem eigenen Haus meinen Platz auf dem Sofa streitig zu machen. Zum Glück war Florian ja nicht mit an Bord, da war eine Koje frei, die konnte jetzt der Hund haben.
Trotz dieses Vorbehalts nahm ich mir vor, in den kommenden vier Tagen während meiner Herrschaft auf See nicht zu streng zu sein. Seit der Meuterei auf der Bounty, die bekanntermaßen damit endete, dass die Besatzung ihren eisenharten Kapitän in ein Beiboot setzte, hat sich auch in maritimen Kreisen die Erkenntnis durchgesetzt: Übertriebene Strenge ist nicht gut für die Disziplin an Bord. Außerdem hatten wir wie gesagt gar kein Beiboot. Ronnie erklärte, was wir alles nicht dürften. Im Dunkeln fahren zum Beispiel. Und wir sollten uns vor Sturm hüten, unser Kahn sei ein wenig topplastig. Umkippen könne er zwar nicht, aber windanfällig sei er schon. Weshalb wir nur bis Windstärke vier auslaufen dürften, keinesfalls aber bei stärkerem Wind. Und woran erkennt man, dass die Brise steifer wird? »Fünf«, sagte Ronnie, »ist dann, wenn mir der Zopf vom Kopf absteht.« Er lachte erst, nachdem wir gebührend lange gestaunt hatten. »Wenn fünf ist, werden Sie gar nicht auslaufen wollen.« Ronnie sprach langsam und ruhig,ich bemühte mich, ein gelehriger Schüler zu sein. »Wir haben Verbots-, Gebots- und Hinweiszeichen«, fing Ronnie an zu dozieren, »haben Sie es mit einem rot-weiß-roten Schild zu tun, dürfen Sie da nie, nie durchfahren.« Alles klar, wann sollte es endlich losgehen?
Dann kam die Praxis. Ronnie ließ uns einen benachbarten, stillgelegten Ziegelei-Hafen ansteuern. »Sehen Sie die Spundwand, sehen Sie die Lücke in der Kette zwischen den Pfosten da oben, wir legen da so an, dass die Lücke bei uns in der Schiffsmitte ist. Ganz einfach.« Ronnie machte es vor:
»Gegenlenken, damit er gerade läuft, Gang rausnehmen, zwei Meter bevor wir da sind nach links lenken, Gang rein, Gas nach vorne, gegenlenken, rückwärts aufstocken, Gang raus, gerade lenken, und schon liegen wir an der Wand.«
Ich nickte und versuchte verzweifelt, mich zu erinnern, an welcher Stelle jetzt der Gang rauskam. Ich gab Gas. »Tausendneunhundert Umdrehungen«, meinte Ronnie, »nicht mehr.«
Ich starrte auf den Drehzahlmesser, und, um es kurz zu machen, ich verkorkste das erste Anlegemanöver. Beim zweiten driftete mir das Heck weg, beim dritten hätte mir ruhig mal jemand vom Ufer ein Tau zuwerfen können, dann wäre womöglich alles gut gegangen. Stattdessen standen wir quer im Hafen, während ich hektisch am Ruder drehte. »Tückischer Wind«, sagte ich, verhunzte leider auch die Wende raus aus dem Hafen, während mein Schwiegervater weiterhin die Kamera hochhielt und Ronnie sich mit Duffy anfreundete.
Von wegen treuer Kamerad. Ich dachte daran, dass dieser Film wahrscheinlich noch in zehn Jahren auf familiären Weihnachtsfeiern laufen würde. Ich sah Basti und Michi, wie sie meine Rolle darin kommentierten. Ich kriegte schlechte Laune. Nicht so mein Ausbilder, er blieb dergleiche gutmütige Ronnie, verzichtete auf jeden Sarkasmus, fragte stattdessen, immer noch in jenem emotionslosen Tonfall, in dem er schon über rot-weiß-rote Schilder doziert hatte, ob ich nicht mal einen Kaffee trinken und meine Frau ans Steuer lassen wolle. Mein Schwiegervater filmte auch das.
Was soll ich sagen, nachdem meine Frau dreimal versichert hatte, dass sie im Traum nicht daran denken würde, eine zwölf Meter lange und vier Meter breite Plattform, die eher einem schwimmenden Parkplatz als einem Boot ähnelte, über die Havel zu steuern, tat sie es doch. Und sie machte es ziemlich gut. So gut, dass Ronnie mich am Ende beiseitenahm und fragte, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn sie der Skipper wäre. »Ach, i wo«, antwortete ich, »aber woher denn.« Wenngleich ich zugeben muss, dass ich mir die Sache anders vorgestellt hatte. Ich meine, ich war es doch, der davon geträumt hatte, als Kapitän auf eigenem Schiff vorbei an märkischen Mangroven zu steuern. Ich wollte mit unserem Wohnwagen fremde Häfen anlaufen. »So machen wir es«, sagte ich also mit einem falschen Lächeln. Es war ohnehin schon spät, und ich wollte endlich raus aus diesem verflixten Hafen, hatte keine Lust mehr, wieder eine Runde zu drehen, wollte dorthin, wo mich keine Kamera mehr sah. Tatsächlich kamen wir an diesem Tag gerade mal ein Hafenbecken weiter, dann dämmerte es bereits. Doch das lag nicht nur an meinen nautischen Fähigkeiten. Unser Schwesterschiff mit einem erfahreneren Skipper kam, wie ich hinterher erfuhr, an diesem ersten Tag auch nur die drei Kilometer havelaufwärts bis Burgwall. An diesem Abend revidierte ich also den Kurs, den ich für uns vorgesehen hatte.
Ich nahm Abstand von dem Gedanken, in irgendwelchen Buchten zu übernachten. Stattdessen führten wir gemeinsam den Hund aus. Er wirkte zufrieden. Und er würde auch an den kommenden Abenden festen Boden unter die Pfoten bekommen.
Am nächsten Morgen liefen wir aus. Mit tausendneunhundert Umdrehungen, das entspricht etwa acht Stundenkilometern, zogen wir durchs Wasser. Der Kahn zu unseren Füßen wirkte aus den zweieinhalb Metern Höhe des hinteren Sonnendecks, das zugleich unser Steuerstand war, wie ein richtiges Schiff. Wir bauten unseren Campingtisch auf, breiteten darauf die Karte aus. Eine Weile gucke ich durchs Fernglas, aber es gab für einen Navigator hier nicht viel zu tun. Der Fluss mit seinen Windungen bestimmte die Route.
Stattdessen ging ich also runter und kochte Kaffee. Das war neu. Normalerweise war man mit dem Wohnwagen im Schlepp während der Fahrt zum Stillsitzen verdammt. Es ist auf der Straße streng verboten, sich unterwegs hinten aufzuhalten, etwa dort ein Nickerchen zu machen. Aus gutem Grund. Ein einziges Mal bin ich im Stau im Wagen aufs Klo gegangen. Und als es währenddessen nur ein paar Meter weiterging, hatte sich meine Frau ans Steuer gesetzt. Die Wackelei war selbst bei Schrittgeschwindigkeit auf dieser Mini-Distanz im Wohnwagen ganz ungeheuer. Man mag sich nicht ausmalen, was da drinnen während einer Autobahnfahrt los ist. Weshalb es dringend geraten ist, jeden Gegenstand fest zu verstauen. Nun aber konnten wir an Bord rumspazieren, Kuchen essen, auf dem Bett liegen und lesen, und trotzdem kamen wir voran, wenn auch langsam. Der Hund schien es sogar richtig zu genießen, auf dem obersten Deck die Ohren im Wind flattern zu lassen. Weil es noch früh im Jahr war, waren nur wenige Boote unterwegs, obwohl die Sonne schien. Ein Angler stand im Uferschlick und sammelte Würmer, ein Reiher hob sich träge aus dem Schilf, ansonsten waren wir allein. »Mit dem Hausboot willst du fahren?«, hatte mich ein Kollege vorher gefragt und mir dann erzählt, wie er als Fünfzehnjähriger mit seinen Eltern durch England geschippert sei. »Gott, war das langweilig.« Ich dachte an unseren Sohn, der mit fünfzehn mit uns in Frankreich gewesen war. Jetzt stand unsere inzwischen vierzehnjährige Tochter am Bug und langweilte sich zum Glück nicht. Ich war froh, dass wir sie dabeihatten.
Besser, man hat in der Schleuse hinten und vorn einen Matrosen stehen, der das Boot am Tau hält. Zumal wir in Irland schon einmal erlebt hatten, was passieren kann, wenn man das Boot dort festmacht. Es hatte dort unseren Vordermann getroffen, der das Tau in der Schleusenkammer an einem Ring verknotet und zu spät registriert hatte, dass das Wasser unter ihm abgelassen wurde. Wir sahen also mit an, wie das Boot regelrecht aus dem Wasser gezogen wurde und das Tau sich innerhalb kürzester Zeit derart spannte, dass es die Besatzung nicht mehr gelöst kriegte. Und schließlich riss die Befestigung heraus und pfiff durchs Schleusenbecken, während das Boot zurück aufs Wasser krachte. Der Vorfall ist mir derart eindrücklich im Gedächtnis geblieben, dass wir diesen Fehler nie machten.
An der Schleuse Kannenburg mussten wir warten, bis das Becken geräumt wurde, das Tor wurde gerade geöffnet. Die Schleuse war eine der wenigen auf unserer Route, die noch manuell bedient wurde. Weil wir damit rechnen mussten, gleich hineinfahren zu können, liefen wir nicht den dafür vorgesehenen Platz am Ufer an, sondern meine Frau hielt das Boot gewissermaßen in der Schwebe, gegen Wind und Strömung. Dann fuhr sie unter den Augen des Schleusenwärters in die geöffnete Kammer und stoppte exakt hinter dem Boot, das vor uns eingelaufen war. Dessen Besatzunghatte sich schon mit Bootshaken bewehrt am Heck aufgestellt, um eine Kollision zu verhindern und uns notfalls abzuwehren.
Ich stand bei uns im Bug, war mächtig stolz und sagte an den Schleusenwärter gewandt, der unser Manöver vom Rand verfolgt hatte: »Schleusen macht immer meine Frau, die ist ruhiger.« Meine Güte, irgendetwas musste ich ja sagen. Bei der nächsten Schleuse hatten wir schon Routine: vorfahren bis zur Haltelinie, einen Hebel betätigen, auf einer elektrischen Tafel wurde angezeigt, wie es weiterging.
Mir blieb eine Nebenrolle, die ich mithilfe des Fernglases etwas aufwerten konnte. Es war nämlich nicht immer leicht, auf größeren Seen den richtigen Ausgang zu finden, vor allem, wenn Bäume das entsprechende Seezeichen verdeckten.
Also suchte ich mit dem Fernglas die Ufer ab. Einfach mal den Motor ausmachen und nur so rumliegen, ging leider nicht, weil wir mit unserem hochbordigen Kahn ständig weggetrieben wurden. Man hätte den Anker auswerfen müssen. Ich traute mich aber nicht, das zu tun, weil ich unter der Zwangsvorstellung litt, der Knoten würde sich lösen, und ich müsste dann hinterherspringen. Also fuhren wir einfach immer weiter, bis wir irgendwann den Hafen von Templin erreichten.
Durch das Fernglas sah ich auf einem Steg jemanden stehen und uns zuwinken. Beim Näherkommen erkannten wir, dass es der Hafenmeister war, der uns einen Liegeplatz zuweisen wollte. Ich empfand das als hilfreich, besser jedenfalls, als wenn er uns hinterher mitgeteilt hätte: »Hier könn’ Se aber nicht liegen bleiben.« Davor fürchtete sich meine Frau am meisten: unter den Augen des Hafenmeisters zwischen den Stegen hin und her zu kreuzen.
Beim Anlegen erwiesen sich dann meine nautischen Vorstudien als äußerst hilfreich. Während der Hafenmeisternämlich netterweise unseren Kahn vorn festmachte, rief er mir zu: »Achtern belegen, aber bitte keinen Hausfrauenknoten.«
Ich hätte wahrscheinlich keine Ahnung gehabt, wovon der Kerl redet, so aber wusste ich, er meint, ich solle das Boot hinten festmachen, mit einem Knoten, den man ohne Messer wieder lösen konnte. Der Mann stand neben mir, als meine Frau den Motor ausmachte und nun die Treppe vom Steuerstand zu uns herunterkam.
»Als ich Sie kommen sah, dachte ich noch, wat lässt der denn die Frau fahren. Aber die macht dat besser als mancher Kerl!« Ja, ganz ähnlich hatte Ronnie das auch gesagt.
Als Wohnwagenfahrer fanden wir uns im Hafen schnell zurecht. Es war nicht viel anders als auf dem Campingplatz. Zumal neben uns unser Schwesterschiff festgemacht hatte. Der einzige Unterschied war eigentlich, dass auf dem Campingplatz nie jemand stehenbleibt, um einen zu bestaunen.
Das war hier anders. Wir standen im Mittelpunkt des Interesses. Gutes Gefühl. Es kamen sogar Passanten bis auf den Steg und fragten, was das denn für ein Gefährt sei. Ich verteilte Prospekte, die mir der Vermieter mitgegeben hatte, und beantwortete Fragen: Ja, fährt sich eigentlich ganz leicht. Und nein, wir sind nicht aus Holland. Letzteres wollten zwei Kanuten wissen, die doch sehr verblüfft waren, den Weg eines schwimmenden Wohnwagens zu kreuzen.
Am nächsten Morgen legte unser Schwesterschiff zuerst ab. Ich sah mit Genugtuung, wie der Skipper erst den Motor abwürgte und schließlich nur aus dem Hafenbecken kam, weil alle mit den Bootshaken tüchtig nachhalfen. Was Ronnie wohl zu dem Manöver gesagt hätte? Er war eindeutig viel zu streng mit mir gewesen. Auf dem Rückweg durch den doch recht engen Templiner Kanal kam uns die »Uckerperle« entgegen, ein Fahrgastschiff voller Passagiere, die unseren schwimmenden Wohnwagen anstarrten. Souverän wich meine Frau aus. So etwas konnte sie jetzt nicht mehr in Bedrängnis bringen. Dahinter kräuselte sich die Oberfläche des großen Röddelinsees unter einer steifen Brise.
Ich hielt ein Stück Schnur in die Luft, als wäre es Ronnies Zopf. Windstärke fünf war’s wohl nicht. Die Überfahrt zog sich recht lange hin, unser Schiff stampfte durch die Wellen, schwankte dabei aber erstaunlich wenig. Nicht einmal der Filter fiel von der Kaffeekanne. Und wir wurden auch nicht mehr nervös, als ausgerechnet bei unserem vorletzten Anlegemanöver der Sprit ausging, der Kahn sich im Fluss querlegte und dabei die halbe Havel zustellte, bevor ich unter dem Sonnendeck auf den zweiten Tank umschalten konnte.
Zurück an der Basis waren wir nach nur vier Tagen braun gebrannt wie die Seebären, erstaunlich, wie schnell das auf dem Wasser ging. An Land wartete mein Schwiegervater mit seiner Kamera, filmte, wie seine Tochter ein perfektes Anlegemanöver hinlegte. Ronnie war nicht da. Vielleicht hätte er um ihre Hand angehalten.
Und als der Wohnwagen wieder am Haken unseres Autos hing, fragte ich: »Soll ich fahren?«
»Ja, mach«, sagte meine Frau, »ich will mich mal ausruhen.«
Auf dem Heimweg dachte ich ernsthaft darüber nach, einen Bootsführerschein zu machen. Aber bis zu Hause hatte ich den Gedanken schon aufgegeben. Ich fand, mit dem Wohnwagen ist man doch flexibler.

Auszug aus: Andreas Austilat: „Hotel kann jeder“, Goldmann-Verlag, 284 Seiten, 8,99 Euro

> Kapitel 11 In See stechen als PDF (520 KB)

> Austilats Reportage von 2011

Meine Frau, unser Wohnwagen und ich
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